Von Caroline Herfert

Bei strahlendem Wetter gehen die Zuschauer*innen an Bord der MS Stubnitz, einem ehemaligen Kühlschiff der DDR-Hochsee-Fischfangflotte, das seit 1992 für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird und derzeit zu den zahlreichen Aufführungsorten von „Theater der Welt“ zählt. Der Programmzettel beschreibt die Leitfrage der Lecture Performance: „Wie kann eine Seefahrt aussehen, die Kunst, Aktivismus, fairen Handel und ‚Freedom of Movement‘ zusammen denkt?“ Hier und da stehen oder werkeln Akteur*innen in weißen Overalls zwischen dem Publikum auf dem Deck. Per Megaphon stellt eine der Weißgewandeten diese Crew als „Hamburg Port Hydrarchy“ (HPH) vor: Eine Gesellschaft, die in Konkurrenz zur Hamburg Port Authority (HPA) auftritt, mit zum Verwechseln ähnlichem Schriftzug und Logo. Letztere versteht sich selbst als „zukunftsorientiertes Hafenmanagement aus einer Hand und ist überall dort aktiv, wo es um Effizienz, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit im Hamburger Hafen geht.“[1] Die Port Authority verschreibt sich der Aufgabe, das volle Potential des Hamburger Hafens zu entwickeln – allerdings ganz im Interesse von Großkonzernen und Tourismus.

Hier setzt die Port Hydrarchy als Gegenentwurf an: Der Hafen ist nämlich kein freies Gebiet, und das soll sich ändern. Es sollen alternative Pläne zur Nutzung des vollen Potentials des Hamburger Hafens entwickelt, andere Zugänge zum Hafen eröffnet, und unerkannte Potentiale aufgezeigt werden. Ihr Ziel ist es, Hafenentwicklung jenseits von globalem Containerhandel und Kreuzfahrtromantik zu denken und in Gang zu setzen. Die Bewohner*innen der Stadt sollen das Hafengelände, vor allem das derzeit ‚unverplante‘ Gebiet des Baakenhöfts mitgestalten und es mit Leben füllen dürfen.

Foto: MS Stubnitz, © Caroline Herfert

Für „Ports“ hat die HPH vier verschiedene Themenfelder bearbeitet, die in verschiedenen Stationen mit unterschiedlichen künstlerischen Zugängen vorgeführt werden. Das Publikum hat die freie Wahl, sich an eine Station zu begeben, bis eine Schiffssirene erklingt und den Wechsel zur nächsten Station anzeigt.

Es sind kreative und engagierte Denkanstöße, die die HPH liefert, bisweilen fantastische Gedankenwelten, in die sie entführen, und scharfe Beobachtungen über die Vergangenheit und Gegenwart von globalem Handel, der Mobilität von Menschen, und die Rolle von Häfen, die sie hier teilen. Besonderen Eindruck hinterlässt der Denk- und Erfahrungsraum ‚Paralogistics‘, der die Teilnehmer*innen mit auf das Vorderdeck und die Brücke des Schiffes nimmt. Während man den Blick über das Hafengelände rund ums Baakenhöft wandern lässt, wird einem über Kopfhörer ein dichtes Gewebe von Geschichte und Geschichten über Logistik, von der Verbindung zwischen Häfen, von Pirat*innen, vom Transport von Menschen und Gütern erzählt.

Dabei kommt die Sprache immer wieder auf die Geschichte des Versklavtenhandels: „Modern logistics was born in slave trade!“ ‚Ground zero‘ des Versklavtenhandels, erfährt man, ist der Hafen Badagri in Nigeria, ein point of no return. Hier wurden Menschen in Ware verwandelt, gewaltsam in Schiffsbäuche gepfercht, verschifft wie Güter. Während die Wucht dieser Sätze einem im Kopf bleibt, fährt der Erzählstrom fort, reißt einen mit. Gegen Ende dieser Erzählungen über menschliche und unmenschliche Aspekte von Logistik, fordert die Stimme eines HPH-Akteurs auf, noch einmal den Blick über das Baakenhöft wandern zu lassen: „Here, logistics for German colonialism took place.“ Die Erzählströme hallen noch lange nach im Kopf, doch es geht weiter zur nächsten Station.

Foto: Auf der Brücke der MS Stubnitz, © Caroline Herfert

Hinter der Gesellschaft Hamburg Port Hydrarchy, die diesen großartigen Abend verantwortet hat, steht geheimagentur. Wer hinter geheimagentur steckt, ist – wie der Name schon sagt – geheim: Sie arbeitet anonym und ist nach eigener Beschreibung „ein freies Label, ein offenes Kollektiv und der Versuch einer praktischen ‚art of being many‘. Wer an zwei Projekten der geheimagentur teilnimmt, hat das Recht, als geheimagentur eigene Vorhaben zu realisieren. Eine neue geheimagentur, eine weitere Zelle entsteht. Die geheimagentur – das sind zwei, drei, viele.“[2]

Das Hamburger Performancekollektiv „produziert Einrichtungen und Situationen, die wie Fiktionen erscheinen und dann doch die Realitätsprüfung bestehen. Die Performances der geheimagentur lassen eine andere Realität im Kleinen entstehen, öffnen Fluchtwege aus den Ökonomien der Verknappung und forschen mithilfe des Unwahrscheinlichkeitsdrives.“ [3] Eine dieser Einrichtungen ist die Hamburg Port Hydrarchy, deren rotes Logo und blauer Schriftzug an das Erscheinungsbild der HPA erinnern: Ganz gemäß dem Motto des Kollektivs stellt das Logo ein vielköpfiges Drachenwesen dar.

Am Ende der Performance versammeln sich alle Teilnehmer*innen im Schiffsbauch zur Großversammlung: Es geht um die Zukunft des Geländes, das derzeit von „Theater der Welt“ bespielt wird. Seine weitere Nutzung ist jedoch unklar: Wird die riesige Halle des Kakaospeichers, der bis 2014 in Betrieb war und nun erstmals geöffnet wurde, abgerissen? Wird das Baakenhöft, von dem aus die Schiffe der Deutschen Ostafrika Linie um 1900 verkehrten und von wo aus das Deutsche Reich ab 1904 deutsche Truppen ins heutige Namibia verschiffte, feierlich verabschiedet vom Hamburger Senat, als Begegnungsort und Umschlagplatz für Ideen bestehen bleiben? Ziel der HPH ist, das Gelände des Afrika-Terminals wieder zu öffnen als ‚African Terminal‘, als Ort der Begegnung und des Austausches zwischen Hamburg und Westafrika. Vom 17.-24.8.2017 soll das Gelände zum „Free Port Baakenhöft“ werden. Die Ideen aller sind willkommen und gefragt: Wir sind alle Köpfe dieser Hydra, Mitglieder der Port Hydrarchy. Die Teilnehmer*innen des Abends bringen ihre Wünsche ein, die von einem schwimmenden Kino, über ein Afrikanisches Kulturzentrum bis hin zu einem Museum über Hamburg und die Kolonialgeschichte reichen.

Foto: Kakaospeicher am Baakenhöft, © Caroline Herfert

Kunst und Aktivismus gehen Hand in Hand, und bei dieser Versammlung wird klar: Die Lecture Performance steht in einem größeren Zusammenhang. Zwei Vorführungen von „Ports – vom Recht auf Meer“ bildeten den Auftakt des Beiprogramms „Access Points“, das geheimagentur in Kooperation mit dem ITI Deutschland konzipiert hat. Ein zweitägiges Symposium und eine Reihe von Workshops laden die nächsten Tage dazu ein, das Recht auf Meer und das Recht auf Hafen gemeinsam auszuloten. Einer der sechs Workshops befasst sich mit der historischen Dimension des Baakenhöfts: Dass der Workshop „African Terminal“ bereits ausgebucht ist, ist bezeichnend, und ein schönes Zeichen. Es spricht für das Interesse in dieser Stadt, sich auseinanderzusetzen mit der historischen Dimension des Hafens und Hamburgs Beitrag zum deutschen Kolonialismus. „Access Points“ läuft noch bis 3. Juni, die Ergebnisse der Workshops werden auch öffentlich präsentiert.

 

[1] http://www.hamburg-port-authority.de/de/Seiten/Startseite.aspx

[2] Siehe http://www.geheimagentur.net/about/

[3] Siehe http://www.geheimagentur.net/about/