Das Humboldt-Forum sollte einen Beitrag leisten für Wissenschaft und Bildung in einer postkolonialen Welt, fordert Prof. Dr. Jürgen Zimmerer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Den Eklat, den Bénédictine Savoys jüngst geäußerte Fundamentalkritik am Humboldt-Forum und ihr Ausstieg aus dem Expertenbeirat gezeitigt haben, greift er in einem langen Kommentar auf, um den dringenden Diskussionsbedarf über symptomatische blinde Flecken aufzuzeigen und daran zu erinnern, dass dekoloniale Aufarbeitung kein Nullsummenspiel ist.

Zimmerer erachtet es als hochproblematisch, dass die Verantwortlichen seit Jahren Kritik ignorieren und die Bedeutung des (deutschen) Kolonialismus für das Humboldt-Forum kleinreden: Der Kunsthistoriker und Ko-Intendant Horst Bredekamp bagatellisierte etwa in seiner Zurückweisung von Savoys Kritik die 34 Jahren deutscher Kolonialherrschaft, indem er sie einem Zeitraum von 460 Jahren Sammlungsgeschichte gegenüberstellte.

Diese Argumentation ist für Zimmerer nicht haltbar, denn der „Bezugsrahmen des Humboldt-Forums ist nicht (nur) das deutsche Kolonialreich, sondern der europäische Kolonialismus als strukturprägendes Phänomen der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends.“ Er betont, dass Deutsche seit Beginn des Kolonialismus in den letzten 600 Jahren ihren Anteil hatten, „gerade an der intellektuellen Vermessung der Welt. Wenn man anknüpfen will an die Großzeit deutscher Gelehrsamkeit, wie es das Humboldt-Forum proklamiert, dann muss man sich auch dem kolonialen Erbe stellen“, fordert Zimmerer.

Bei genauerer Betrachtung ist das koloniale Erbe dieses kulturpolitischen Projekts ein dreifaches: Die ungeklärte Provenienz vieler Objekte ist nur ein problematischer Aspekt. Ebenso kritisch erachtet Zimmerer die Tradition des Völkerkundemuseums, in die sich das Humboldt-Forum mit seinem Fokus auf die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst deutlich einschreibt. Gerade die Logik des Sammelns und Ausstellens des ‚Exotischen‘ und ‚Fremden‘ ist historisch gesehen symbiotisch mit dem Kolonialismus verknüpft und bedarf dringend einer grundsätzlichen Auseinandersetzung, um der „politischen und ideologischen Gebundenheit von Wissenschaft und Weltaneignung“ Rechnung zu tragen. Drittens führt Zimmerer den gewählten Standort, nämlich das Stadtschloss der Hohenzollern, ins Feld: Das Humboldt-Forum wird in die wieder aufgebaute Residenz von Kaiser Wilhelm II. einziehen, unter dessen Herrschaft der Genozid im heutigen Namibia stattfand.

Im Vorgehen der Museumsplaner*innen sieht Zimmerer Parallelen mit dem Umgang der Bundesregierung mit der Klage von Herero- und Namavertreter*innen auf Wiedergutmachung und Einbindung in die Verhandlungen mit der namibischen Regierung. Angesichts der sich gegenseitig aufschaukelnden Debatten um dem Genozid und das Humboldt-Forum, werden nicht nur Versäumnisse der Verantwortlichen sowie die politische und symbolische Tragweite augenfällig. Es zeichnet sich auch die Dringlichkeit ab, das koloniale Erbe des Humboldt-Forums produktiv zu nutzen, um Dialog zu ermöglichen.

Zimmerer plädiert für „eine offene Diskussion der Zivilgesellschaft(en) über Sinn und Wesen derartiger Museen und auch über die Bedeutung des welthistorischen Phänomens Kolonialismus für Deutschland genau wie für die Kolonialisierten (im deutschen Kolonialreich und darüber hinaus).“ Hier ortet er die Chance, das Humboldt-Forum als wegweisende Einrichtung für ganz Europa zu positionieren: „Wenn man diese Diskussion global und ohne Scheuklappen führt“, so Zimmerer weiter, „dann ist man den Brüdern Humboldt vielleicht im Geiste näher gekommen als durch den Wiederaufbau des Schlosses.“

 

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