Über die deutsche Kolonialgeschichte und die heutigen Folgen des Kolonialismus spricht Prof. Dr. Jürgen Zimmerer im Wissenspodcast ‚Praktisch Faktisch‘ von rp online. Die Debatte gewinne erst seit wenigen Jahren wieder an Fahrt, nachdem die deutsche Kolonialgeschichte lange wenig Aufmerksamkeit erhielt – aufgrund des frühen Verlusts der Kolonien, einer Verklärung der deutschen Kolonialherrschaft und des Fokus auf die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit, so Zimmerer. Allerdings sei mehr Aufmerksamkeit für das Thema notwendig angesichts der deutschen Mitwirkung an der europäischen Expansion seit dem 16. Jahrhundert und der offiziellen Kolonialherrschaft ab 1884 mit hunderttausenden Opfern.

Daher sei die weit verbreitete Verklärung des deutschen Kolonialismus keinesfalls aufrechtzuerhalten. Typisch für die deutsche Kolonialherrschaft war laut Zimmerer vielmehr der „staatlich-administrativer Stempel“. Auch das Konzept des ‚Rassenstaats‘ in Deutsch-Südwestafrika habe sich aus der „Verwaltungstradition“ des Kaiserreichs entwickelt. Hier sieht Zimmerer Parallelen von Kolonialismus und Nationalsozialismus: Die Konzepte ‚Lebensraumpolitik‘ und ‚Rassenstaat‘ werden im ‚Dritten Reich‘ genutzt, genauso wie die „Durchorganisation von Ausbeutung und Vernichtung“.

Unter diesen Vorzeichen ist die gegenwärtige Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe zu betrachten. Für die deutsch-namibischen Verhandlungen über die Anerkennung des Genozids an Herero und Nama bestünden zahlreiche Problemfelder wie etwa die fehlende Einbeziehung der Nachfahren. Noch grundlegender sei jedoch, so Zimmerer, dass Europa die Bedeutung des Kolonialismus für die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen ignoriere: „Eine Identitätsdebatte Europas – was ist Europa und was kann Europa im 21. Jahrhundert sein. Und die möchte eigentlich niemand führen.“ Entwicklungshilfe und Militäreinsätze könnten keine tiefgreifenden Veränderungen erzeugen. Dafür müsste eine „Dekolonisierung unseres gesamten Wirtschaftens“ erfolgen, um „globale soziale Gerechtigkeit“ erreichen zu können.

Zum Podcast: https://rp-online.de/digitales/podcasts/die-deutsche-kolonialgeschichte-wissenspodcast-praktisch-faktisch_aid-32925027