Namhafte Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen fordern die deutsche Bundesregierung, Länder und Kommunen dazu auf, die Inventarlisten zu kolonialen Beständen der ihnen unterstehenden Museen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese Transparenz sei Voraussetzung für einen echten Dialog, so die Erstunterzeichnenden, darunter Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Achille Mbembe, Prof. Dr. Felwine Sarr, Prof. Dr. Bénédicte Savoy und Prof. Dr. Jürgen Zimmerer.

Der Aufruf tritt ausdrücklich der Position entgegen, dass der Veröffentlichung eine ausführliche Aufbereitung der Inventarlisten vorausgehen müsse. Ein schneller, unbeschränkter Zugang besitze Priorität gegenüber langwierigen Arbeiten zu den Inventaren; dazu reichten einfache Digitalisate und Listen aus. Nur so könnte aus dem Globalen Süden unabhängig zu und in den deutschen Beständen geforscht werden.

Der gesamte Aufruf im Wortlaut:

Wir fordern freien Zugang zu den Museumsinventaren afrikanischer Objekte in Deutschland!

Ein öffentlicher Appell an die Kulturministerkonferenz

Die öffentliche Debatte um die koloniale Vergangenheit Deutschlands und den Umgang mit kolonialen Objekten in öffentlichen Sammlungen hat vieles in Bewegung gesetzt. Die Diskussion, die sich an den Planungen für das Humboldt Forum in Berlin entzündete und durch den von Emmanuel Macron in Auftrag gegebenen, im November 2018 veröffentlichten Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain intensivierte, hat bereits zu konkreten Schritten geführt. Ein Bekenntnis zur Aufarbeitung des Kolonialismus wurde in den aktuellen Koalitionsvertrag aufgenommen. Stellung bezogen haben zudem die Staatsministerinnen Monika Grütters und Michelle Müntefering in einem Beitrag, in dem sie unter anderem fordern, „in einen echten Dialog mit den Herkunftsgesellschaften zu treten und so für eine partnerschaftliche Zukunft zu wirken“ (FAZ, 15.12.2018). Europaweit einzigartig wurden in Deutschland für die Erforschung von Provenienzen aus „kolonialen Kontexten“ kurzfristig zwei Millionen Euro bereitgestellt, mit denen zunächst vor allem kleine Projekte gefördert werden. Als Forschende und Kulturschaffende aus verschiedenen afrikanischen und europäischen Ländern fordern wir jedoch mehr: Transparenz!

Es ist ein Skandal, dass es trotz dieser nunmehr zwei Jahre anhaltenden Debatte noch immer keinen freien Zugang zu den Bestandslisten der öffentlichen Museen in Deutschland gibt. Wie genau sehen die afrikanischen Sammlungen in deutschen Museen aus? Aus welchen Regionen kommen die Objekte? Welche Arten von Objekten sind es? Wir wollen und müssen das wissen, wenn wir die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit gemeinsam betreiben wollen. Wir brauchen unbeschränkten und unkontrollierten Zugang! Die Kenntnis der Bestände ist die Grundlage für jeden Dialog. Zudem muss aus Afrika heraus eine unabhängige Auseinandersetzung mit den Kulturgütern ermöglicht werden, ohne Abhängigkeit von deutschen Partnern. Die Objekte können dazu beitragen, Wissen und Erinnerung in den postkolonialen Gesellschaften zu reaktivieren und neu zu erschließen – das gilt für Afrika wie natürlich auch für andere Regionen der Welt.

Sowohl die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus als auch eine unabhängig von deutschen Institutionen erfolgende Neuerforschung der Vergangenheit kann nur stattfinden, wenn endlich öffentlich bekannt ist, welche Objekte und welche Informationen es zu diesen in den Museen gibt. Derzeit muss jedes einzelne künstlerische oder wissenschaftliche Projekt, jede internationale Delegation individuell die einzelnen Museen in Deutschland kontaktieren und den Zugang zu Informationen erbitten. Dies führt zu Doppelungen, Mehraufwand, Intransparenz, Abschreckung und nicht selten zum Scheitern.

Um Transparenz zu schaffen, sind keine langwierige Datenaufbereitung und abgeschlossene Digitalisierungsprojekte erforderlich, wie oft behauptet wird.
Die Arbeit an den Inventaren wird nie fertig sein, sie wird immer work in progress bleiben. Es gibt keinen Grund zu warten.

Deshalb fordern wir von den öffentlichen Museen bzw. ihren Trägern, den Kommunen, Bundesländern und dem Bund, die schnellstmögliche weltweite Verfügbarmachung der Bestandsverzeichnisse afrikanischer Objekte in den jeweiligen Sammlungen, unabhängig vom Grad der Vollständigkeit oder vermeintlichen Perfektion dieser Verzeichnisse. Einfache Scans und Listen reichen. Wir brauchen sie jetzt. Erst dann kann der Dialog beginnen.

Zur Homepage mit der französischen und englischen Fassung, der vollständigen Liste der Unterzeichner*innen und der Möglichkeit zur Unterzeichnung des Aufrufs: https://oeffnetdieinventare.com/