Die stockende und selektive Aufarbeitung des Kolonialismus kritisiert Prof. Dr. Jürgen Zimmerer im Politischen Feuilleton des Deutschlandfunks – trotz der entsprechenden politischen Rhetorik und der Relevanz für gegenwärtige Debatten in Deutschland: „Dabei wäre heute eine kritische Auseinandersetzung mit Deutschlands kolonialem Erbe, das ja weit über die 30 Jahre formaler deutscher Kolonialherrschaft hinausreicht, notwendiger denn je. Sie wäre besonders notwendig in einem Deutschland, in dem wieder offen rassistische Positionen artikuliert und als politische Gestaltungsvorschläge diskutiert werden, in dem latent koloniale Positionen allerorten markiert werden können.“

Statt einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die Folgen des Kolonialismus werde diese in Gremien, Kommissionen und Förderzentren „entsorgt“. Zimmerer: „Über die Gründe kann man spekulieren: Ist es die generelle Entpolitisierung des Politischen in der Ära Merkel? Oder ist es die Angst vor einem Querschnittsthema, das viele Fragen in einen Zusammenhang bringt? Fragen der Identität, des Rassismus, der globalen sozialen Ungleichheit, der Klimapolitik – Fragen der Geflüchtetenpolitik im Mittelmeer und Fragen der Entwicklungs- und Sicherheitspolitik. In einen Zusammenhang, in dem die Privilegien der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft allerdings noch privilegierter erscheinen. Wo offen zutage träte, auf welchen rassistischen und ausbeuterischen Grundlagen der Wohlstand Deutschlands, ja Europas, beruht, und dies nicht nur historisch.“ Die Debatten über Raubkunst dürften daher keinesfalls die einzige Auseinandersetzung mit den Folgen des Kolonialismus bleiben, so Zimmerer weiter: „Da ist man dann doch lieber dazu bereit, einzelne Stücke kolonialer Beutekunst zurückzugeben, als die grundsätzlichen Fragen der Zukunft anzugehen. Eine wirkliche Dekolonisation muss die Menschen in den Vordergrund rücken, nicht (nur) Objekte.“

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