Von Diana M. Natermann

Expeditionsmitglied bei der Abmessung eines „Eingeboren“, wahrscheinlich Haberer. Fotograf: unbekannt, 1910/11. Quelle: Museum für Völkerkunde Hamburg © mit freundlicher Genehmigung, Signatur: Innerafrika 116

Unter der Leitung von Professor Jürgen Zimmerer arbeitet die an der Universität Hamburg ansässige Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ gemeinsam mit dem Hamburger Museum für Völkerkunde an der Aushebung und Analyse von Kolonialfotografien mit deutsch-afrikanischem Bezug. Ziel des Projekts ist die Aufarbeitung deutscher Kolonialfotografien aus dem subsaharischen Afrika, die aus öffentlicher wie privater Hand stammen. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Visualisierung des (afrikanischen/nicht-weißen) Anderen aus deutscher Sicht und dessen Verbindung mit einem kolonialzeitlichen Verständnis von Zivilisierungsmission, Rassismus sowie der Fotografie als kolonialer Herrschaftstechnik. Ein Ziel des Forschungsvorhabens ist die Verbindung von post-kolonialen Theorien mit deutschen kolonialen Fotobeständen, um somit neue Forschungsansätze zu testen und zu gestalten.

Historiografischer Ausgangspunkt des Projekts ist das Fotoarchiv im Hamburger Museum für Völkerkunde (MVK), von dessen rund 70.000 Fotografien etwa 35.000 einen Bezug zum afrikanischen Kontinent haben. Der Afrikabestand setzt sich aus Glasnegativen, Kunststoffnegativen, Diapositiven sowie aus Positiven zusammen. Hinzu kommen Abzüge, die entweder aus Portfolios stammen, als Einzelbilder oder Bestandteile von kolonialen Fotoalben vorhanden sind. Der Großteil dieser Fotosammlungen stammt aus der Zeit von 1884 bis 1955. Etwa 7000 Bilder sind in den deutschen Kolonien zwischen 1884 und 1918 entstanden. Der Fokus des Forschungsprojekts liegt auf jenen Fotobeständen und -sammlungen, die die deutsche Kolonialzeit in Zentral- und Südafrika widerspiegeln.

Die Expeditionsteilnehmer mit einer zahmen Giraffe. Foto: Haberer, Fort Lamy 1910/11. Quelle: Museum für Völkerkunde © mit freundlicher Genehmigung, Signatur: 378534

Teile dieser Sammlungen – insbesondere der Bestand der Expedition nach Westafrika unter der Leitung des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg (1910-1911)[1] – werden seit Herbst 2015 von einem interdisziplinären Team von Wissenschaftlerinnen untersucht, das aus der Kolonialhistorikerin Dr. Diana M. Natermann von der Forschungsstelle Hamburgs (post-) koloniales Erbe, der Ethnologin und Afrikaexpertin Irene Hübner und der Fotoarchivarin Catharina Winzer vom MVK besteht.[2] Langfristiges Ziel ist es, die Sammlungen für weitere Forschungsprojekte wie auch für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Die Basisaufarbeitung und wissenschaftliche Erschließung jener historischen Fotobestände des Museums, die mit der deutschen Kolonialherrschaft im subsaharischen Afrika in Zusammenhang stehen, sehen wir als Teil unserer Forschungsaufgabe. Dafür wurden bisher rund 4500 Fotografien zur Auswertung ausgewählt, die zum überwiegenden Teil aus zwei Sammlungsbeständen stammen: zum einen aus der fotografischen Sammlung der Innerafrika-Expedition von Herzog A.F. zu Mecklenburg. Die ca. 3000-3500 Aufnahmen der Expedition sind als schwarz-weiße, teilweise nachkolorierte Glasplattennegative und vereinzelt auch als Positive vorhanden. Ergänzt werden sie durch Tagebücher,[3] vor Ort genutzte Fragebögen,[4] publizierte Bücher[5] und weitere Dokumente. Ferner wurde eine Auswahl kleinerer Fotosammlungen deutscher Militärangehöriger, christlicher Missionare, Kolonialbeamter und Händler getroffen.

Die Mecklenburg-Expedition reiste von Hamburg nach Westafrika, um dort im Belgisch-Kongo (heute: Demokratische Republik Kongo), Kongo-Brazzaville (heute: Republik Kongo), Fernando Póo (heute: Bioko), Kamerun, Sudan und im Tschadseegebiet wissenschaftliche Forschungen zu betreiben. Die neunköpfige Gruppe[6] setzte sich aus Militärs, Adligen und Naturwissenschaftlern zusammen, deren Forschungsinteressen äußerst heterogen waren. Dementsprechend variieren die fotografischen Motive: Empfänge bei westafrikanischen Eliten, Termitenhügel, mit der Schlafkrankheit infizierte Personen, halbnackte Frauen, afroarabische Muslime, „Pygmäenfamilien“, Großwildjagden oder auch die für die Kolonialzeit typischen anthropometrischen Fotografien.

Hermann Schubotz posiert auf einem erlegten Elefanten, neben ihm ein Afrikaner, dessen Identität (noch) nicht geklärt ist. Fotograf: unbekannt, Loka 1910/11, Quelle: Museum für Völkerkunde Hamburg © mit freundlicher Genehmigung, Signatur: 11372161

Seit dem Beginn unseres Projekts im Herbst 2015 wurden mehr als 10.000 Ikonokarten gesichtet und geprüft (wovon ca. 3000-3500 Bilder Presseausschnitte oder Sonderdrucke aus Zeitschriften wie „Kolonie und Heimat“ u.Ä. sind). Bei ca. 6500 Beispielen aus dem Ikonokatalog handelt es sich um Positive (inkl. Objektfotos), und von diesen 6500 Fotos sind etwa 1500 Abzüge für die kolonialhistorische Erforschung sowie für eine (zeitgenössische) ethnologische Einordnung ausgewählt worden. Stichwörter, die die Auswahl mit beeinflussten, waren: „Anthropometrische Aufnahmen“, „Maskentänze“, „Alltagshandlungen“, „Architektur“, „Kinder“, „Weib“ u.v.m. Hinzu kam die Anwendung von zeitgenössisch-kolonialen Stichwörtern, da sie Rückschlüsse für Einordnungen geben, die seinerzeit von den Kolonialisten selbst getroffen wurden. Klassifizierungen jener Art erlauben häufig einen Einblick in zeitgenössische politische Diskussionen um bestimmte Begriffe ebenso wie erste Interpretationsmöglichkeiten der Aussageabsichten der Fotografen.

Der Fokus unserer Forschung liegt nicht in der erstmaligen Auswertung eines deutsch-kolonialen Fotobestands. Im Zuge der Aktualität der Debatte zur deutschen Kolonialherrschaft in Afrika, vor allem mit Bezug auf das heutige Namibia, und in Anbetracht der mangelnden Forschung zur deutschen Kolonialfotografie erlaubt der Mecklenburg-Bestand einen Einblick in das bisher noch unzureichend wissenschaftlich erarbeitete Forschungsgebiet der deutschen Kolonialfotografie.

Arabische Schule in Mandjaffa. Fotograf: A.F. zu Mecklenburg 1910/11. Quelle: Museum für Völkerkunde Hamburg © mit freundlicher Genehmigung, Signatur: 3473096

Während der ersten sechs Monate seit Projektbeginn war die Forschergruppe daher hauptsächlich mit der Sichtung der Bildquellen sowie mit dem Lesen der Tagebücher und publizierten Bände beschäftigt. Die erste Ansicht des Quellenmaterials diente dazu, in den Fotografien fotografische Motivmuster zu entdecken, die Aufschluss über die Interessen und Absichten der jeweiligen Fotografen geben würden. Der Herzog hielt beispielsweise vornehmlich erfolgreiche Jagdmomente und Treffen mit indigenen Würdenträgern fest. Der Botaniker Mildbraed schoss hauptsächlich Fotografien von natürlichen Objekten wie Termitenhügeln, und Feldwebel Röder zeigte ein besonderes Interesse für vermeintliche Schnappschüsse, auf denen er sich selbst darstellte. Dr. Haberer hingegen hinterließ viele Fotografien von jungen indigenen Männern. Die einzigen beiden Teilnehmer der Expeditionstruppe, die keine Fotos machten, waren der Künstler E. Heims und der Kammerdiener des Herzogs Schmidt.

Seit Beginn des Projekts wurde der gesamte Mecklenburg-Bestand eingescannt und die Bilddateien mit der hauseigenen Datenbank des Museums verknüpft. Das Projekt wurde auf diversen Konferenzen im In- und Ausland präsentiert, wo die thematische Verbindung postkolonialer Theorien mit der deutsch-afrikanischen Kolonialfotografie großes Interesse fand. Der Mecklenburg-Bestand und die weiteren kolonialen und afrikabezogenen Fotosammlungen des Museums für Völkerkunde in Hamburg – wie auch in weiteren Instituten Deutschlands – bieten großes Potenzial für die weitere wissenschaftliche Untersuchung.

Zwei Expeditionsmitglieder posieren vor einem Hof der Musgum. Fotograf: A.F. zu Mecklenburg 1910/11. Quelle: Museum für Völkerkunde Hamburg © mit freundlicher Genehmigung, Signatur: 6212038

 

Dieser Beitrag wurde auf dem Blog Visual History erstveröffentlicht.

 

[1] Der Bestand selbst lässt sich in einen Haupt- und einen Nebenbestand aufteilen. Der Hauptbestand besteht aus 2130 Objekten (2004 Scans davon sind vorhanden), der Nebenbestand aus 1631 Objekten (1608 Scans der Objekte sind vorhanden). Ferner existiert ein Bestand mit 198 Glasplattennegativen der Expedition, die nachkoloriert und in den 1940er Jahren dem Museum für Völkerkunde geschenkt wurden.

[2] Das Vorhaben wird seit 2015 von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius gefördert.

[3] Teilweise sind im Museum für Völkerkunde die transkribierten Tagebücher des Herzogs A.F. zu Mecklenburg und des Hauptmann von Wiese und Kaiserswaldau vorhanden.

[4] Das Museum für Völkerkunde, das die Mecklenburg-Expedition mitfinanzierte, gab den Teilnehmern Fragebögen mit, die Fragen zu den vorgefundenen Ethnien, Kulturen und Gesellschaften enthielten.

[5] Hier ist vor allem der Reisebericht zur Innerafrika-Expedition zu erwähnen. Siehe: Adolf Friedrich zu Mecklenburg, Vom Kongo zum Niger und Nil, Leipzig 1912.

[6] Die Forschungsreisegruppe bestand aus dem Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg, dem Hauptmann a.D. von Wiese und Kaiserswaldau (Imperiale Schutztruppe), Dr. Schubotz (Zoologe), Feldwebel Otto Röder (Imperiale Schutztruppe Kamerun), Hr. Schmidt (des Herzogs Kammerdiener), Ernst M. Heims (Künstler – zuständig für Zeichnungen aller Art während der Expedition), Prof. Dr. med. Haberer (Spezialist für Tropenkrankheiten), Dr. Arnold Schultze (Oberleutnant), und Dr. J. Mildbraed (Botaniker).