Wie das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) in einer Pressekonferenz am 20.4.2017 bekannt machte, besitzt das dortige Medizinhistorische Museum Hamburg mehrere Dutzend Human Remains aus dem kolonialen Kontext. Der Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Dr. Dr. Uwe Koch-Gromus, hatte 2016 die kritische Erforschung der Sammlungen des Medizinhistorischen Museums in Auftrag gegeben. Nun wurden nun erste Ergebnisse vorgestellt.

Label „Herero“ (c) Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Insgesamt besitzt das Medizinhistorische Museum 75 „Schädel“ aus einem im weitesten Sinne kolonialen Kontext, wobei einem das Etikett „Herero“ anheftete. Auch fällt ein gewisser Schwerpunkt auf ehemaligen deutschen Kolonien auf. So stammen neun Human Remains aus ehemaligen deutschen Kolonialgebieten in Papua Neuguinea und zwei aus Kamerun, ein bis zwei aus Namibia und einer aus Tsingtau. 22 „Schädel“ stammen aus Südamerika und 13 aus Europa.

Es war nicht zuletzt der mit „Herero“ etikettierte Fund, der den Verantwortlichen auch die tagespolitische Aktualität signalisierte und dazu führte, dass sie den Afrika- und Genozidhistoriker und Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“, Prof. Dr. Jürgen Zimmerer zu Rate zogen. Er beschäftigt sich ausführlich mit den derzeit zwischen Deutschland und Namibia geführten Verhandlungen über eine Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama. Als Namibiaspezialist konnte er auch Hinweise zur wahrscheinlichen Herkunft dieses Menschen geben: „Den Völkermord an den Herero und Nama im damaligen Südwestafrika (1904-1908) nutzten viele deutsche Wissenschaftler, sich mit Human Remains zu versorgen, die sie für rassenanthropologische Studien nutzten. Dazu wurden in den Konzentrationslagern verstorbene Menschen nach Deutschland geschickt. Es ist deshalb nicht überraschend, dass sich einer davon auch in Hamburg findet.“

„Oberste Priorität“ hat nach Auskunft des Dekans nun die „Rückführung der identifizierten Human Remains. Die sterblichen Überreste sind weder in einer wissenschaftlichen Sammlung noch in einem Museum korrekt aufgehoben“, betont Prof. Dr. Dr. Uwe Koch-Gromus. „In den derzeitigen Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia über die Anerkennung des Genozids und seinen angemessenen Umgang mit ihm, wurde auch die Forderung nach Restitution aller Human Remains gestellt“, führte Jürgen Zimmerer zur größeren Dimension dieser Entscheidung aus. „Dass das UKE hier proaktiv seine ‚Sammlungen‘ offenlegt ist auch ein wichtiger Beitrag zur Verständigung zwischen Deutschland und Namibia.“ Es ist „unser Wunsch“,  so stellte Koch-Gromus angesichts der Funde in Hamburg klar, „gemeinsam mit Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft einen würdigen Ort für das Gedenken an die deutsche Kolonialvergangenheit Hamburgs zu finden.“

Die Human Remains, die das Forschungsteam in Hamburg eruierte, stammen aus der Neuropathologischen Sammlung Friedrichsberg. Wilhelm Weygandt, Psychiater und Direktor der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, hatte zwischen 1905 und 1934 eine 1185 Objekte umfassende Schausammlung mit Schädeln, Tierpräparaten und ethnologischen Objekten zusammengetragen. Die aus Afrika stammenden „Schädel“ kaufte er zwischen 1917 und 1925 von privaten Händlern. Den „Schädel“, den die Provenienzforscher*innen dem Volk der Herero zuordnen konnten, erwarb die Staatskrankenanstalt am 1. August 1924 von Johannes Flemming, der für die Organisation von „Völkerschauen“ bekannt war.

Inventarbuch der neuropathologischen Sammlung Friedrichsberg (c) Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Die Erforschung von Sammlungszusammenhängen im kolonialen Kontext sei unerlässlich und die Provenienzforschung müsse weiter vorangetrieben werden, erklärte Prof. Dr. Philipp Osten, kommissarischer Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin: „Die koloniale Entwürdigung dieser Human Remains erfolgte durch ihre Zurschaustellung in Ausstellungen und durch eine Forschung, die darauf abzielte, auf der Basis von Rassenanthropologie Minderwertigkeit zu konstruieren. Die Herkunft der im Inventarbuch verzeichneten Objekte belegt zudem, wie eng die Schädelsammlung mit der Rolle Hamburgs in der Deutschen Kolonialgeschichte verbunden ist. Es besteht daher die zwingende Notwendigkeit, die wissenschafts- und kulturhistorischen Dimensionen der Sammlung zu erforschen.“ Vor allem ist es ihm ein Anliegen, „eine Debatte über herkömmliche historische Lehr- und Forschungssammlungen anstoßen, die menschliche Präparate enthalten.“

 
„Das ‚Sammeln‘ von Human Remains im kolonialen Kontext gehört zu den noch nicht aufgearbeiteten Kapiteln kolonialer Wissenschaftsgeschichte“, sagte Jürgen Zimmerer. „Mit der Offenlegung seiner Bestände und des Findbuchs leistest das UKE einen wichtigen Beitrag zu dessen Aufarbeitung.“ Und noch wichtiger: „Die ‚Rehumanisierung‘ der enthumanisierten Menschen“, betont der Leiter der „Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die (frühe) Globalisierung“.